»Zusammen mit der Schallplatte ist auch ein Teil der Geschichte unserer Populärkultur dabei zu verschwinden. Alles was aus der ungeheueren Vielfalt der Schallplattenproduktion unseres Jahrhunderts übrig zu bleiben droht sind die ewig aufs Neue reproduzierten sicheren Verkaufserfolge. Die eher (im doppelten Sinn des Wortes) merkwürdigen Beispiele finden nur noch Anklang bei speziellen Sammlern, sofern nicht eine kurzfristige Mode bestimmte Musikformen vorübergehend repopularisiert«
Schon seit Jahren betätigt sich Kalle Laar, der Münchener Gitarrist, Komponist und Elektroniker, als Klangarchäologe besonderer Art. Tausende Schallplatten hat der heute 47-jährige, nebenbei studierte Historiker, zusammengetragen, Vinylscheiben mit Musik, die niemand hören möchte, Raritäten und Kuriosa aus rund einem halben Jahrhundert Schallplattengeschichte: Schrullige Speicher des Abseitigen, Alltäglichen, Andersartigen, des Bizarren, Banalen, Besonderen. Tierstimmenexotika und Werbejingles, ethnische Heilklänge und haushaltsmedizinische Tipps nebst allen Arten ausgefallener Musik.
Kalle Laar erweckt diese Klänge zwischen Trashkultur und Obskurantismus in seinen mittlerweile legendären »Nächten der verlorenen Musik« wieder zum Leben. Als Spiel mit konkreter, zeitbezogener Erinnerung und deren Abstraktion in fantastischen Soundcollagen versteht Laar seine Performances, die den Hörer immer wieder auf sich selbst zurückwerfen, in ihm eigene Gedanken und Bilder wachrufen, und ihn doch nie der Nostalgie überlassen.
Laar selbst, der auch schon mit Elliott Sharp und Christian Marclay kollaboriert hat, nennt diese seine oft auch von Visuals und Projektionen begleiteten Exkurse in vergessene, verdrängte Tiefen des kulturellen Gedächtnisses des 20. Jahrhunderts »Hör-Reisen« oder »Ohren-Kino«. Wobei der Verlauf des Abends dem jeweiligen Thema folgt, das improvisatorisch umkreist wird. Wobei der Dj, vergleichbar den Schriftstellern und bildenden Künstlern, auf seinem Weg durch die Klanglandschaften, auf dem er das jeweilige Thema improvisierend umkreist, zu neuen, nichtlinearen Erzählweisen findet.
»Eigentlich habe ich diese Schellack-Platte der ägyptischen Plattenfirma Cairophon vor ca. 20 Jahren ja nur wegen des schönen Labels mit den Pyramiden gekauft, wollte sowieso kein anderer haben. Von der Musik war ich dann zunächst verblüfft und anschließend absolut begeistert; was sich erst wie ein absurder Mix aus westlichen Streicherklängen, Hawaiigitarren, Klarinetten und traditionellen arabischen Instrumenten anhörte, für den unvorbereiteten Hörer tonal mehr als nur leicht angeschrägt und mit haarsträubenden Tempowechseln und melodischen Eskapaden ausgestattet, entpuppte sich als ebenso hinreißende wie merkwürdige Exotica-Nummer.
Diese für unsere Ohren manchmal gnadenlose Ost-West Mischung hat immer wieder interessante Hybridformen hervorgebracht, von der heute natürlich als traditionell angesehenen Musik der großen Sängerin Oum Kalthoum bis zum Rai und einer Vielzahl weiterer moderner Popformen.
Daneben bleibt auch der andere Blick interessant, von hier aus in die orientalische Ferne. Exotica gibt es nicht erst seit 'Aida' und Ketelbey und Elvis und den tausend Versionen des Duke-Ellington-Klassikers 'Caravan'.«Kalle Laar
Montag 23.00 Uhr, Palmenhaus im Burggarten Nightline, Kalle Laar DJ,Video/Dias